Inklusion und Barrierefreiheit im Alltag – Interview Melanie Wimmer
In diesem Interview sprechen wir mit Melanie Wimmer, Expertin für Barrierefreiheit und Inkluencerin, Dax, über Inklusion und Barrierefreiheit im Alltag.
Startseite » Blog » Gendern nervt? Warum wir uns trotzdem mit geschlechtergerechter Sprache auseinandersetzen sollten
Gendern polarisiert. Das Thema hat sich in den letzten Jahren zu einem der meistdiskutierten in der Gesellschaft entwickelt. Gendern ist nicht nur ideologisch und politisch, sondern auch Teil einer sozialen Bewegung. Es geht dabei um die Frage, ob darauf geachtet werden sollte, mittels Sprache alle Geschlechter gleichberechtigt anzusprechen.
Während einige Menschen diese Praxis unterstützen, finden andere sie sehr nervig und sinnlos.
Laut einer Studie des rheingold Instituts aus dem Jahr 2022 lehnen 54 % der Befragten 2000 Menschen zwischen 14 und 35 Jahren die Genderdebatte ab und fühlen sich zusätzlich provoziert und genervt.
Auf der anderen Seite finden 44 % der Befragten Gendern als gerechtfertigt und (eher) wichtig. Gleichzeitig schätzen aber mehr als die Hälfte der jüngeren Frauen den Sinn in der Sache als besonders hoch ein und als wichtiges Zeichen für mehr Gleichberechtigung und modernen Geschlechterverständnis.
In diesem Artikel möchten wir uns mit der folgenden Frage beschäftigen: „Gendern nervt – tut es das wirklich?” Wir werden uns ansehen, was das Gendern bedeutet, welche Argumente dafür und dagegen sprechen und wie man am besten mit dieser Thematik der geschlechtergerechten Sprache umgehen kann.
Gendern bezieht sich auf eine geschlechtergerechte Sprache und soll sicherstellen, dass sich alle Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, in Texten und Sprache angesprochen fühlen.
Es wird versucht, genderneutrale oder geschlechtsneutrale Begriffe zu verwenden und die unterschiedlichen Geschlechter sichtbar zu machen. Es geht dabei nicht nur um die Einteilung in „männlich“ und „weiblich“, sondern auch um Personen, die sich weder als Frau, noch als Mann identifizieren. Diese Personen nennt man „nicht-binär“ oder „non-binär“. Die Einteilung in Frau und Mann nennt man „binär“.
Zum Beispiel statt „der Arzt“ oder „die Ärztin“ würde man „der*die Ärzt*in“ schreiben oder sagen. Dadurch soll erreicht werden, dass alle Geschlechter gleichberechtigt angesprochen werden und niemand ausgeschlossen wird.
In der Sprache gibt es viele Formen, um Geschlechter auszudrücken. Doch nicht alle davon sind inklusiv oder gerecht. Beim Gendern geht es darum, Sprache und Schrift so zu gestalten, dass alle Geschlechter gleichberechtigt angesprochen werden.
Besonders spannend und was viele Menschen nicht wissen: Die Genderdebatte ist nicht erst im 20. Jahrhundert entstanden – bereits im 1748 empfahl der Schriftsteller Johann Christoph Gottsched in „Grundlegung der deutschen Sprachkunst“, eigene Bezeichnungen für Funktionen, die Frauen ausüben. Das waren beispielsweise „Oberstinn“, Hauptmännin“ oder „Doctorin”.
In der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache spielt die Bezeichnung „generisches Maskulinum“ eine große Rolle. Warum? Hier ein Beispiel.
Die Piloten fliegen das Flugzeug von Graz nach Frankfurt.
Welche Bilder erzeugt dieser Satz in deinem Kopf? An welche Person hast du gedacht, als du das Wort „Piloten“ gelesen hast?
Das Problem mit dem generischen Maskulinum: Grammatisch und der Definition nach gilt es für alle Menschen. Daher sollten sich auch Frauen oder nicht-binäre Menschen davon angesprochen fühlen.
Aber dennoch ist es so, dass Formulierungen im generischen Maskulinum Bilder von Männern in den Köpfen der Menschen erzeugt. Ergebnisse dazu liefern einerseits psycholinguistische Studien, aber auch Studien, die mit Reaktionszeitmessungen arbeiten.
Forschende haben über die Reaktionszeit von Teilnehmenden auf unterschiedliche Sitzkonstellationen versucht herauszufinden, wie Sprache und Bilder im Kopf der Menschen entstehen und zusammenpassen.
Die Versuchspersonen bekamen nach der Reihe Sätze gezeigt und mussten immer dann auf „ja“ drücken, wenn der folgende Satz als sinnvolle Fortsetzung wahrgenommen wurde.
Schließlich führten Sätze mit Frauen zu einer längeren Reaktionszeit und irritierte die Menschen. Daraus wurde das Ergebnis abgeleitet, dass das generische Maskulinum Bilder von Männern in den Köpfen der Menschen entstehen ließ. Mehr zu der Studie findest du in der Linkliste am Ende der Seite.
Bereits seit den 1970er Jahren gibt es Diskussionen über geschlechtergerechte Sprache. Nach wie vor sind die Fronten verhärtet. Unser Ziel hier ist es, beiden Seiten Raum zu geben.
Daher zeigen wir hier sowohl die Vor- als auch die Nachteile des Genderns auf, indem wir jeweils 3 Argumente dafür und dagegen gegenüberstellen.
Nein, das Gendern ist freiwillig. Es gibt keine Verpflichtung, in der Sprache zu gendern. Dennoch sehen wir Offenheit und Respekt gegenüber der Thematik als wichtig an.
Egal, ob man das Gendern unterstützt oder nicht, es ist wichtig, respektvoll mit anderen Meinungen umzugehen.
Du fragst dich, ob du jetzt immer Gendern musst? Nein, musst du nicht.
Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, ob er gendert oder nicht. Es gibt jedoch immer mehr Organisationen und Institutionen, die das Gendern zur Sprachpraxis machen und es in ihren Richtlinien verankern.
Das Gendern kann zu anfangs zu mehr sprachlicher Komplexität führen. Wenn wir uns aber bewusst damit auseinandersetzen und uns Zeit geben, um uns daran zu gewöhnen, wird es leichter werden.
Wir wissen nun: Gendern bedeutet, dass Sprache und Text so gestaltet werden, dass alle Geschlechter und Geschlechteridentitäten angesprochen und repräsentiert werden.
Gendergerechte Sprache bezieht sich auf eine sprachliche Ausdrucksweise, die darauf abzielt, alle Geschlechter angemessen zu berücksichtigen. Die Verwendung von Genderzeichen kann dazu beitragen, die sprachliche Gleichstellung von Frauen, Männern und weiteren Geschlechtern zu fördern.
Mittlerweile gibt verschieden Möglichkeiten zu gendern, von denen wir auf die bekanntesten im Folgenden genauer eingehen möchten.
Das generische Maskulinum ist eine weit verbreitete Sprachform, bei der nur die männliche Form verwendet wird, um sowohl männliche als auch weibliche Personen zu beschreiben.
Diese Form kann jedoch, wie weiter oben in diesem Artikel erwähnt, als diskriminierend und ausschließend empfunden werden.
Beispiele: Studenten, Bewerber, Kollegen, Kunden
Eine weitere Möglichkeit ist die Verwendung des Binnen-I. Dieses Zeichen wird in ein Wort eingesetzt, um genderneutral zu schreiben.
Beispiele: StudentInnen, BewerberInnen, KollegInnen, KundInnen
Ein weiteres Konzept wie das Gender-Gap bzw. der Gender-Unterstrich (_). Er wird verwendet, um eine geschlechtergerechte Sprachform zu erzeugen.
Beispiele: Student_innen, Bewerber_innen, Kolleg_innen, Kund_innen
Eine weitere Möglichkeit, genderfair zu schreiben, ist die Schrägstrich-Variante. Dabei wird das Wort mit einem Schrägstrich getrennt, um geschlechtergerecht zu formulieren.
Beispiele: Student/innen, Bewerber/innen, Kolleg/innen, Kund/innen
Eine Möglichkeit, gendergerechte Sprache zu verwenden, besteht darin, ein Gender-Sternchen (*) zu verwenden. Dieses Zeichen wird zwischen den beiden Geschlechtsbezeichnungen platziert, um anzudeuten, dass es sich nicht nur um eine männliche oder weibliche Form handelt.
Beispiele: Student*innen, Bewerber*innen, Kolleg*innen, Kund*innen
Eine weitere Variante ist die Verwendung von geschlechterneutralen Formulierungen. Dabei wird eine geschlechterneutrale Bezeichnung verwendet und das Geschlecht nicht direkt erwähnt.
Hier gibt es wiederum mehrere Möglichkeiten:
Des Weiteren gibt es die Möglichkeit, die männliche und weibliche Form zu verwenden.
Beispiel: Der Pilot und die Pilotin steigen ein.
Auf den ersten Blick scheinen gendergerechte Sprache und leicht verständliche Sprache nicht zusammenzupassen. Immer wieder ärgern sich Menschen, dass gegenderte Texte schwieriger zu lesen und zu verstehen sind.
Dass das nicht so stimmt, weiß Mag. Dr. Christopher Ebner, Forscher von der Universität Graz. Er sagt: „Texte können genderfair sein, ohne die Verständlichkeit zu erschweren.“
Warum? Leichte Sprache und Gendern verfolgen gemeinsam ein wichtiges Ziel: Inklusion. Wie Gendern und Leichte Sprache zusammenpassen, zeigt eine neue Studie von capito und der Universität Graz.
Texte können genderfair sein, ohne die Verständlichkeit zu erschweren.
Mag. Dr. Christopher Ebner, Universität Graz
Die von Mag. Dr. Christopher Ebner geleitete Genderstudie gibt Empfehlungen, welche Genderarten sich für das Schreiben in leicht verständlicher Sprache am besten eignen.
In der Studie beurteilten 54 Personen, die Leichte Sprache brauchen, die Verständlichkeit von Texten mit verschiedenen Formen des Genderns.
Darunter waren zum Beispiel Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Menschen, die gerade Deutsch lernen. Sie überprüften Texte aus 3 verschiedenen sprachlichen Schwierigkeitsstufen (A1, A2 und B1).
Möglich wurde die Studie durch eine Zusammenarbeit mit dem im gesamten deutschen Sprachraum tätigen Netzwerk von capito.
capito führt seit über 22 Jahren Textvereinfachungen durch, die immer auch durch Menschen aus den Zielgruppen auf Verständlichkeit überprüft werden. Die lang erprobte und TÜV-zertifizierte capito Methode stellt sicher, dass die Ergebnisse der Studie zuverlässig sind.
Die Untersuchungen wurden an den capito Standorten in Graz, Berlin, Hamburg, Nordbayern und Stuttgart durchgeführt, um auch mögliche geografische Unterschiede abzudecken.
Und jetzt zu den Ergebnissen: Gendergerecht und verständlich – geht das?
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass alle teilnehmenden Personengruppen folgende Formen problemlos lesen und verstehen konnten:
Die Befragten hatte jedoch Probleme mit folgenden Formen:
Aber was, wenn eine neutrale Bezeichnung nicht möglich ist?
Die Studie empfiehlt in solchen Fällen den Gender-Stern zu verwenden.
Die finale Frage ist also, ob es möglich ist barrierefrei zu Gendern?
Die Studie zeigt: Ja, es gibt definitiv Möglichkeiten.
Mehr zur durchgeführten Studie findest du auf dieser Seite. Außerdem findest du dort auch kostenlos eine Kurz- und Langfassung zum Download.
Insgesamt lässt sich sagen, dass das Gendern ein wichtiges Thema ist, das zu einer geschlechtergerechten Sprache beiträgt. Es kann aber auch dazu führen, dass Texte und Sprache komplexer werden.
Letztendlich ist es jedoch wichtig, offen und respektvoll mit diesem Thema umzugehen und jeden Menschen individuell entscheiden zu lassen.
Gendern selbst ist keine Einbahnstraße und es gibt unterschiedliche Meinungen darüber, ob es sinnvoll oder notwendig ist. Manche Menschen empfinden das Gendern als mühsam und unnötig kompliziert. Es erfordert in der Tat ein gewisses Maß an Umgewöhnung und kann dazu führen, dass Texte und Sprache komplexer werden.
Warum Gendern nervt, ist aus verschiedenen Gründen verständlich. Es kann dazu führen, dass Texte und Sprache komplexer werden und in manchen Fällen die Lesbarkeit erschwert wird. Es erfordert eine bewusste Auseinandersetzung mit der Sprache und eine Veränderung der Gewohnheiten.
Nicht zuletzt kann das Gendern auch zu Widerstand und Ablehnung führen, da es als ideologisch motiviert empfunden wird.
Viele, wie auch wir, sehen im Gendern eine Chance, eine geschlechtergerechtere Sprache zu schaffen und Diskriminierung zu vermeiden.
Das Ziel des Genderns ist es, eine geschlechtergerechte Sprache zu schaffen, die alle Geschlechter gleichberechtigt anspricht. Es soll sicherstellen, dass sich alle Menschen in Texten und Sprache angesprochen fühlen und keine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts erfahren. Insgesamt geht es darum, eine inklusive Sprache zu schaffen, die allen Menschen gerecht wird.
Es ist jedoch wichtig zu erwähnen, dass keine Methode perfekt ist und dass es immer noch Herausforderungen bei der Einführung einer gendergerechten Sprache gibt.
Als Profis für Leichte Sprache und Barrierefreiheit sind wir immer wieder mit dem Thema Gendern konfrontiert.
Häufig werden wir gefragt …
Da die Themen Inklusion und Barrierefreiheit unsere Kernkompetenzen sind, beraten wir hier sehr gerne.
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