Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Eine Chance für Unternehmen und die Gesellschaft

Die Barrierefreiheit sollte ein zentraler Bestandteil unserer Gesellschaft sein, wenn wir Inklusion und Gleichberechtigung fördern möchten. In Deutschland hat der Gesetzgeber im Jahr 2021 mit dem Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) einen bedeutenden Schritt in diese Richtung getan. Das Gesetz setzt wichtige Impulse, um Barrieren im öffentlichen Raum, in der digitalen Welt und im täglichen Leben von Menschen mit Behinderungen zu reduzieren oder gänzlich zu beseitigen. Dieser Beitrag erklärt die Bedeutung des BFSG, welche Maßnahmen es vorschreibt und welche Auswirkungen es auf Unternehmen hat.

Inhalt

Das Wichtigste in Kürze:

  • Ziel des BFSG: Barrierefreiheit für Produkte und Dienstleistungen, damit Menschen mit Behinderungen uneingeschränkt am öffentlichen und digitalen Leben teilhaben können.
  • Betroffene Bereiche: Digitale Plattformen, Webseiten, öffentliche Verkehrsmittel, Banken, Zahlungsdienste, Kommunikationsdienstleistungen, Einzelhandel und mehr.
  • Vorgaben für Unternehmen: Produkte und Dienstleistungen müssen barrierefrei und verständlich gestaltet sein, z. B. durch zugängliche Websites, Apps und Geräte.
  • Chancen für Unternehmen: Größere Zielgruppen durch Barrierefreiheit und Einfache Sprache erreichen.
  • Langfristiger Vorteil: Höhere Umsätze für Unternehmen und Förderung von Inklusion und Gleichberechtigung in der Gesellschaft.
  • Das Gesetz tritt am 28. Juni 2025 in Kraft
Ein Foto von einem Laptop und einer Lupe.

Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) wurde am 22. Juli 2021 verabschiedet und setzt die europäische Richtlinie (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen in nationales Recht um. Das Ziel des Gesetzes ist es, Barrierefreiheit in vielen Bereichen des alltäglichen Lebens verbindlich zu machen und sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen oder eingeschränkten Fähigkeiten gleichberechtigten Zugang zu wesentlichen Produkten und Dienstleistungen haben.

Das Gesetz zielt somit auf die Endverbraucherinnen und Endverbraucher ab. Produkte und Dienstleistungen, die ausschließlich zwischen zwei Unternehmen verkauft werden (sogenannte B2B-Leistungen) sind davon nicht betroffen.

Warum ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz wichtig?

In Deutschland leben schätzungsweise 10 Millionen Menschen mit Behinderungen. Viele von ihnen sind im Alltag immer wieder mit Hürden konfrontiert, sei es bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, bei der Bedienung digitaler Angebote oder beim Lesen von sehr komplexen Texten, die oftmals in „Beamtendeutsch“ verfasst sind. 

 

Studien sagen, dass mehr als 50% der Menschen Probleme haben, komplexe Texte richtig verstehen zu können. Diese Menschen sind auf Einfache und Leichte Sprache angewiesen.  Auch Menschen ohne anerkannte Behinderung, wie ältere Menschen oder Menschen mit temporären Einschränkungen, profitieren von barrierefreien Umgebungen.

 

Barrierefreiheit ist nicht nur eine Frage des Komforts, sondern ein zentraler Aspekt der Menschenrechte. Der Zugang zu Informationen, Dienstleistungen und Produkten darf nicht von den physischen, sensorischen oder kognitiven Fähigkeiten eines Menschen abhängen. Das BFSG trägt dazu bei, eine inklusive Gesellschaft zu schaffen, in der jeder Mensch die gleichen Chancen auf Teilhabe hat.

Die wichtigsten Regelungen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes

Das BFSG verpflichtet Hersteller und Dienstleister Barrierefreiheit in verschiedene Bereiche ihrer Arbeit zu integrieren. Die wichtigsten Regelungen umfassen:

  1. Barrierefreie Produkte Produkte wie Geldautomaten, Zahlungsterminals, Computer, Smartphones und E-Books müssen für Menschen mit Behinderungen zugänglich sein. Das bedeutet, dass die Nutzung für Menschen mit Seh-, Hör- oder Mobilitätseinschränkungen ebenso möglich sein muss wie für Menschen ohne Einschränkungen.
  2. Barrierefreie Dienstleistungen Dienstleistungen, die für die Teilhabe am öffentlichen Leben wichtig sind, wie Bankdienstleistungen, Online-Einkauf, öffentliche Verkehrsmittel und Telekommunikation, müssen barrierefrei gestaltet werden. Dies umfasst sowohl physische Barrierefreiheit (z. B. Zugänglichkeit von Bankfilialen) als auch digitale Barrierefreiheit (z. B. nutzerfreundliche Websites und Apps).
  3. Verständlichkeit Informationen und Anleitungen müssen in verständlicher Sprache verfasst sein. So steht im Gesetz beispielsweise: „Der Hersteller hat sicherzustellen, dass dem Produkt eine Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformationen in deutscher Sprache beigefügt sind. Alle Kennzeichnungen, die Gebrauchsanleitung und Sicherheitsinformationen müssen klar, verständlich und deutlich sein.“
  4. Nachweispflicht Hersteller von Produkten und Dienstleistungen sind den Marktüberwachungsbehörden gegenüber verpflichtet nachzuweisen, dass die verkauften Produkte und Dienstleistungen den Anforderungen des BFSG gerecht werden.
  5. Marktüberwachung Das Sozialministeriumservice muss im Rahmen des Gesetzes die darunter fallen Produkte und Dienstleistungen überwachen und kontrollieren. Jede Person kann eine Beschwerde gegenüber einem Unternehmen einlegen. Die Marktüberwachungsbehörde muss dieser Beschwerde nachgehen. Das Unternehmen kann eine hohe Strafe bekommen, wenn die Produkte und Dienstleistungen nicht barrierefrei sind.
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Ist mein Unternehmen auch davon betroffen? Ein Beispiel aus der Praxis

Das Friseurgeschäft Musterhaare betreibt ein Geschäft mit mehr als 10 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von mehr als 2 Millionen Euro. Es handelt sich bei dem Unternehmen demnach nicht um ein Kleinstunternehmen im Sinne des § 2 Nummer 17 BFSG. Auf der Webseite des Unternehmens können die Kunden Termine buchen und Haarpflegeprodukte kaufen. In § 1 Absatz 2 werden Haarpflegeprodukte nicht genannt, in § 1 Absatz 3 wird die Friseurdienstleistung nicht erfasst.

 

Dennoch muss das Unternehmen Musterhaare die Barrierefreiheitsanforderungen beachten. Denn es betreibt über die Webseite sogenannte „Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr“. Dabei handelt es sich um Dienstleistungen der Telemedien, die über Webseiten und auf Mobilgeräten angebotene Dienstleistungen elektronisch und auf individuelle Anfrage eines Verbrauchers im Hinblick auf den Abschluss eines Verbrauchervertrags erbracht werden. Hierunter fallen sowohl der Verkauf der Haarpflegeprodukte (e-Commerce) als auch die Buchung der Termine. Die gesamte Webseite inklusive Check-out ist nach den Vorschriften des BFSG barrierefrei zu gestalten

Gibt es Ausnahmen?

Ja, es gibt eine grundsätzliche Ausnahme: Kleinstunternehmen, die Dienstleistungen erbringen, sind vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgenommen. Kleinstunternehmen sind Unternehmen, die weniger als 10 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 2 Millionen Euro erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 2 Millionen Euro beläuft.

 

Wenn das in Beispiel 3 genannte Friseurgeschäft also beispielsweise 1 Million Euro Umsatz im Jahr macht und nur 4 Mitarbeiter beschäftigt, muss es die Barrierefreiheitsanforderungen nicht beachten, obwohl es Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr anbietet.

 

Beschäftigt das Friseurgeschäft jedoch 4 Mitarbeiter und macht einen Umsatz von 2,1 Millionen Euro im Jahr, ist es kein Kleinstunternehmen nach dem BFSG. Gleiches gilt, wenn es 10 Mitarbeiter beschäftigt und einen Jahresumsatz von 1 Million Euro erzielt.

Alle Regelungen können Sie sich unter folgendem Link ansehen.

Wie können Unternehmen die Vorgaben des BFSG umsetzen?

Für Unternehmen kann die Umsetzung der BFSG-Vorgaben eine Herausforderung darstellen, aber auch eine Chance, ihre Zielgruppe zu erweitern und ihre Markenpositionierung zu stärken. Hier sind einige Schritte, die Unternehmen setzen können, um die Anforderungen zu erfüllen:

  1. Analyse des Ist-Zustands

Der erste Schritt besteht darin, eine Analyse des aktuellen Zustands der Barrierefreiheit durchzuführen. Unternehmen sollten ihre Produkte, Dienstleistungen und digitalen Angebote auf Barrieren überprüfen. Dies kann durch interne Bewertungen, Nutzerbefragungen oder die Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten für Barrierefreiheit geschehen.

 

  1. Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sollten in Bezug auf Barrierefreiheit sensibilisiert und geschult werden. Dies betrifft nicht nur die IT-Abteilungen, sondern auch das Marketing, den Kundenservice und andere relevante Bereiche. Nur wenn alle Personen im Unternehmen das Thema verstehen und unterstützen, kann Barrierefreiheit erfolgreich umgesetzt werden.

 

  1. Technische Anpassungen

Besonders im Bereich der digitalen Angebote müssen technische Anpassungen vorgenommen werden. Dazu gehört zum Beispiel die Anpassung der Webseite gemäß den Richtlinien der Web Content Accessibility Guidelines (WCAG). Diese Richtlinien helfen dabei, Webseiten und Apps so zu gestalten, dass sie auch für Menschen mit Behinderungen zugänglich sind.

 

  1. Kommunikation vereinfachen

Alle bereit gestellten Informationen müssen leicht verständlich sein. Unternehmen sollten die gesamte Kommunikation vereinfachen oder die Einfache und Leichte Sprache als zusätzliches Angebot verankern – damit alle Menschen alles verstehen können.

 

  1. Feedback von Nutzern einholen

Um sicherzustellen, dass die Maßnahmen zur Barrierefreiheit effektiv sind, sollten Unternehmen regelmäßig Feedback von Menschen mit Behinderungen einholen. Dies hilft dabei, Schwachstellen zu identifizieren und kontinuierlich Verbesserungen vorzunehmen.

 

  1. Kontinuierliche Überprüfung

Barrierefreiheit ist kein einmaliges Projekt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Unternehmen sollten ihre Angebote regelmäßig überprüfen und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen, um sicherzustellen, dass sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.

Herausforderungen bei der Umsetzung des BFSG

Trotz der klaren Vorgaben des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes gibt es zahlreiche Herausforderungen bei der Umsetzung. Viele Unternehmen müssen Investitionen tätigen, um ihre Angebote barrierefrei zu gestalten. Dies betrifft vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, die möglicherweise nicht über die großen finanziellen Mittel verfügen. Über moderne Software-Lösungen können Webseiten, Apps oder die Kommunikation aber auch mit wenig Aufwand und geringen Kosten barrierefrei gemacht werden.

 

Ein weiteres Hindernis könnte der Mangel an Fachwissen im Bereich der Barrierefreiheit sein. Viele Unternehmen wissen nicht genau, welche Anforderungen sie erfüllen müssen oder wie sie ihre Produkte und Dienstleistungen barrierefrei gestalten können. Hier sind gezielte Schulungen und Beratungsangebote gefragt, um die Umsetzung des Gesetzes zu erleichtern.

Vorteile und Chancen des Barrierefreiheitsstärkungsgesetzes

Trotz der Herausforderungen bietet das BFSG viele Vorteile für die Unternehmen und die Gesellschaft:

  1. Erhöhte Teilhabe Menschen mit Behinderungen erhalten durch das Gesetz einen besseren Zugang zu wichtigen Produkten und Dienstleistungen. Dies fördert ihre Teilhabe am sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben und verbessert ihre Lebensqualität.
  2. Größere Zielgruppen für Unternehmen Barrierefreiheit ist nicht nur für Menschen mit Behinderungen wichtig. Auch ältere Menschen oder Menschen mit temporären Einschränkungen profitieren von barrierefreien Angeboten. Unternehmen, die barrierefreie Produkte und Dienstleistungen anbieten, können somit eine größere Zielgruppe ansprechen und ihre Marktchancen erhöhen.
  3. Steigende Umsätze Durch Barrierefreiheit erreichen die Unternehmen nicht nur eine größere Zielgruppe, sondern steigern auch die Zufriedenheit der bestehenden Kundinnen und Kunden. Barrierefreiheit fördert die Verständlichkeit und die Einfachheit von Anwendungen, was letztendlich allen Menschen zugutekommt. Dadurch können Unternehmen mittelfristig die eigenen Umsätze steigern.
  4. Stärkung der Inklusion Das BFSG trägt dazu bei, eine inklusivere Gesellschaft zu schaffen, in der Menschen mit Behinderungen die gleichen Chancen und Rechte haben wie alle anderen. Es fördert das Bewusstsein für die Bedürfnisse von Menschen mit Einschränkungen und hilft, Vorurteile und Barrieren abzubauen.
  5. Rechtsklarheit Durch die Einführung verbindlicher Regelungen zur Barrierefreiheit bietet das BFSG Rechtsklarheit für Unternehmen. Es wird klar definiert, welche Anforderungen erfüllt werden müssen, was die Planung und Umsetzung von Maßnahmen erleichtert.

Fazit

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Es setzt verbindliche Maßstäbe für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen und stellt sicher, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können. Für Unternehmen ist das Gesetz eine große Chance, die eigenen Produkte und Dienstleistungen für alle Menschen verständlich und barrierefrei zu gestalten.

 

Davon profitieren letztendlich alle – die Unternehmen durch steigende Umsätze und die Gesellschaft durch einfach zu bedienende und leicht verständliche Produkte und Dienstleistungen. Barrierefreiheit ist nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern auch eine Chance, Teil einer zukunftsfähigen und fairen Gesellschaft zu sein.

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Peter Probst

Chief Revenue Officer bei capito.
capito ist der Marktführer im Bereich der barrierefreien Information.

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Barrierefreiheitsstärkungsgesetz

Erklärung

Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist die Umsetzung des Europäischen Rechtsakts zur Barrierefreiheit. Der volle Name lautet: Richtline (EU) 2019/882 über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen.  

 

Diese Richtlinie müssen alle EU-Länder in nationales Recht umsetzen. Das heißt, dass jedes EU-Land ein nationales Gesetz daraus macht.  

 

In Deutschland ist es das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Es wurde im Juli 2021 verkündet und tritt am 28. Juni 2025 in Kraft.  

 

In Österreich hat das Gesetz den Namen Barrierefreiheitsgesetz (BaFG), hat aber den gleichen Inhalt. 

Mit diesem Gesetz werden zum ersten Mal auch private Wirtschaftsakteure dazu verpflichtet, Barrierefreiheit im digitalen Bereich zu gewährleisten. 

 

Jede Bank, jede Versicherung, jedes Unternehmen (ab 10 Mitarbeitenden) muss ab 2025 leicht verständlich kommunizieren, wenn es online Produkte und Dienstleistungen anbietet. 

Das betrifft praktisch alle mittleren und großen Unternehmen in der EU, die Kund*innen Produkte und Dienstleistungen anbieten. 

 

Die Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) als gelten als Leitlinie, um barrierefreie Websites umzusetzen.  

Die WCAG-Richtlinien haben 4 Säulen

  • Wahrnehmbarkeit  
  • Bedienbarkeit 
  • Verständlichkeit 
  • Robustheit 
Ein Icon von einem Buch und einer Lupe.
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Veronika Fröhlich

Übersetzerin und Partnermanagerin bei capito.

capito ist der Marktführer im Bereich der barrierefreien Information.

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