Foto von Walburga Fröhlich

Wie es ist, wenn man manchmal vor dem eigenen Mut erschrickt

Wer hoch hinaus will, der fällt tief, lernen wir schon von Kindesbeinen an. Lieber steigen wir erst gar nicht so hoch hinauf, denn nichts scheint schlimmer zu sein, als hinzufallen. In einer Gesellschaft, die die Bodenhaltung von Menschen zum Ideal erklärt, könnte man schnell mal vor dem eigenen Mut zu träumen erschrecken.

Für alle, die es noch mitgekriegt haben: capito hat es in den EIC Accelerator geschafft. Für alle, die nicht so recht wissen, was dieser EIC Accelerator eigentlich ist: Er ist das höchstdotierte Unterstützungsprogramm der EU für „bahnbrechende Innovationen mit disruptiven Auswirkungen und internationalem Skalierungspotenzial“, schreibt die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG. Für uns bedeutet das 1,7 Millionen Euro, um in Zukunft komplizierte Texte in Sekundenschnelle in leicht verständliche Versionen zu übertragen und unsere capito Software in Europa und den USA auf den Markt zu bringen.

So viel Mut, vielleicht zu viel

Nicht einmal eine Minute hat es gedauert, bis sich die Riesenfreude ob des Erfolgs mit ebenso großem Respekt vor der Herausforderung wie ein gut durchzogener Marmorkuchen vermischt hatte. Werden wir das schaffen? Werden wir die Menschen mit unserer Lösung überzeugen können? Über den großen Teich springen, mit Tech-Giganten in den Ring steigen, im großen Ozean voller Haie und sonstigem Ungetier schwimmen und bestehen, ohne totgebissen zu werden? Wir? Mit mir als Chefin? Ach, soviel Mut, vielleicht zu viel?

Bodenhaltung von Menschen als ideal?

„Übermut tut selten gut“, schallt es aus den Stammbüchern und Benimm dich Regeln der Kindheit, „wer hoch hinaus will, der fällt tief“, und so weiter, das Repertoire zur Pflege der Bodenhaltung von Menschen ist groß. Von den spezifischen Ausprägungen dieser „halte dich fein klein und still“ Anweisungen, die wir Mädchen in unserer sozialen Entwicklung genießen durften, ganz zu schweigen. Sie haben bei mir allesamt nicht gefruchtet, ich hab’s ehrlich versucht. Zu vordrängend, zu bestimmt, zu sehr von eigenen Vorstellungen und Willen getrieben, um mich erfolgreich unterordnen zu können, bleibt mir nur der Weg im frischen Wind des Muts. Erschrecken hin oder her.

Mehr ist mehr als Klein-Klein

Vor 20 Jahren habe ich gemeinsam mit Klaus Candussi atempo gegründet. capito war ein Projekt von mehreren in unserem Ideenkorb. Jetzt will capito hoch hinaus, auf eigenen Beinen stehen oder weniger poetisch formuliert: capito positioniert sich als eigenständige Marke am internationalen Markt. Aus einem sozialen Projekt ist ein digitales, hoch skalierbares Geschäftsmodell mit Social Impact geworden. Ein Produkt, von dem man wirklich sagen kann: Mehr ist mehr. Mehr verständliche Sprache ist mehr Wirkung. Schnellere Übersetzung ist mehr Wirkung. Mehr Prüfarbeit für Menschen mit Lernschwierigkeiten ist mehr Arbeitsplätze.

Die Beziehung zu atempo wandelt sich von der Abhängigkeit zur Verbundenheit. Was capito mit atempo verbindet ist die Vision von einer Welt, in der Menschen nicht ausgeschlossen werden, nur weil sie Lernschwierigkeiten haben; nicht behindert werden, nur weil sie anders sind. Das lässt sich nicht erreichen mit ein bisschen „klein-klein“.

Wer hoch hinaus will, kann tief fallen und trotzdem nicht scheitern

Also: Tief durchatmen und los geht’s. capito hat das Potenzial. Es ist möglich, dass in nicht so ferner Zukunft viele Millionen Menschen alle Informationen verstehen können, die sie brauchen, um sich im Leben auszukennen und gute Entscheidungen zu treffen. Einfach deshalb, weil capito diese Informationen automatisch einfacher verständlich macht, wann immer jemand das braucht.

 

Die Vorstellung, dieses große Ziel gemeinsam mit meinem Team tatsächlich erreichen zu können, wiegt alles Erschrecken ob des eigenen Muts auf. Das ist das unvergleichlich Kraftvolle an einem Social-Impact-Unternehmen: Der eigene Höhenflug oder der eigene tiefe Fall sind nicht mehr so wichtig angesichts der großen Chance, die sich bietet. Selbst wenn wir fallen, wissen wir: Wir haben schon jetzt etwas erreicht, auf das andere schon heute aufbauen. Und das bleibt.

Portraitfoto von Walburga Fröhlich zum Blogbeitrag über Mut

Walburga Fröhlich ist CEO und Co-Gründerin von capito und verbindet als solche Unternehmertum mit Social Impact.

 

Gemeinsam mit ihrem Team hat sie capito zu einem der vielversprechendsten digitalen Start-ups Europas gemacht. Und will auch weiterhin hoch hinaus.

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